Wer in der Seniorenbetreuung arbeitet, kennt Situationen, die alles andere als einfach sind: Eine Seniorin weigert sich plötzlich, die dringend notwendige Hilfe anzunehmen. Ein Kunde reagiert mit Gereiztheit auf jede Frage. Oder eine Kundin wird aggressiv und beschimpft die Betreuungskraft, obwohl diese nur helfen wollte. Solche Situationen werden häufig als „herausforderndes Verhalten“ bezeichnet – und stellen Betreuungskräfte im Alltag immer wieder auf die Probe.
Doch was steckt dahinter? Und wie kann man als Betreuungskraft ruhig, professionell und mitfühlend reagieren, ohne selbst auszubrennen?
Was bedeutet „herausforderndes Verhalten“?
Der Begriff klingt zunächst nach einer Bewertung. Aber in der Fachwelt gilt: Herausforderndes Verhalten ist keine Eigenschaft eines Menschen, sondern immer ein Ausdruck eines Bedürfnisses oder einer Überforderung.
Typische Formen sind:
- Aggressives Verhalten (laut werden, schimpfen, abweisend reagieren)
- Rückzug oder Verweigerung (nicht essen, nicht duschen, Kontakt ablehnen)
- Unruhe, rastloses Umherlaufen
- Misstrauen oder Beschuldigungen („Sie wollen mir was wegnehmen!“)
Gerade bei Menschen mit Demenz tritt herausforderndes Verhalten häufig auf. Das liegt nicht daran, dass sie „schwierig“ sind, sondern daran, dass sie sich mit Worten oft nicht mehr klar ausdrücken können. Bedürfnisse wie Hunger, Schmerzen, Langeweile oder auch Angst lassen sich dann nicht mehr so mitteilen wie früher – und äußern sich deshalb in Unruhe, Aggression oder Rückzug. Für Betreuungskräfte bedeutet das: Verhalten ist hier eine Form der Kommunikation ohne Worte. Wer achtsam hinschaut und hinhört, entdeckt hinter der Wut oder Verweigerung oft ein sehr menschliches Bedürfnis.
Aber auch Menschen ohne Demenz reagieren herausfordernd – oft in belastenden Lebenssituationen (Trauer, Schmerzen, Einsamkeit).
Mögliche Ursachen erkennen
Damit Betreuungskräfte angemessen reagieren können, ist der erste Schritt: Verstehen, warum jemand so handelt. Ursachen können sein:
- Körperliche Beschwerden: Schmerzen, Hunger, Durst, Müdigkeit.
- Psychische Belastungen: Angst, Unsicherheit, Verlustgefühle, Depression.
- Umgebungsfaktoren: Zu viel Lärm, Hektik oder fehlende Orientierung.
- Kommunikationsprobleme: Die Person fühlt sich nicht verstanden oder übergangen.
- Verlust von Selbstbestimmung: Wer sich ausgeliefert fühlt, reagiert oft mit Widerstand.
Eine hilfreiche Faustregel: Hinter jedem Verhalten steckt ein Signal.
Strategien für Betreuungskräfte
- Ruhe bewahren – auch wenn es schwerfällt
Herausforderndes Verhalten ist selten persönlich gemeint. Wenn jemand schimpft, ist es meist der Ausdruck von Frust, Schmerz oder Angst. Ein ruhiger Tonfall, langsames Sprechen und eine offene Körpersprache wirken deeskalierend.
- Empathisch zuhören
Oft reicht es schon, das Gefühl der Person zu spiegeln:
- „Ich sehe, dass Sie gerade sehr wütend sind.“
- „Das klingt so, als wären Sie unsicher.“
 So fühlt sich die betreute Person ernst genommen, auch wenn man ihr Verhalten nicht gutheißt.
- Bedürfnisse erkennen
Fragen Sie sich: Was könnte die Ursache sein? Hat die Person Schmerzen, Hunger, oder ist sie vielleicht überfordert? Oft hilft es, kleine Veränderungen auszuprobieren – ein Glas Wasser, ein ruhigerer Raum, eine Pause.
- Grenzen setzen – klar, aber freundlich
Gerade bei aggressivem Verhalten ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu wahren. Ruhig und bestimmt zu sagen: „So möchte ich nicht angesprochen werden“, zeigt Haltung, ohne die Situation eskalieren zu lassen.
- Humor als Türöffner
Manchmal kann ein Lächeln oder ein lockerer Kommentar die Spannung auflösen. Aber Achtung: Humor muss wertschätzend sein – nie auf Kosten der betreuten Person.
- Unterstützung suchen
Niemand muss schwierige Situationen allein meistern. Austausch im Team, Supervision oder das Gespräch mit Ihrem Betrieb können helfen, neue Perspektiven zu gewinnen.
Selbstfürsorge nicht vergessen
Herausforderndes Verhalten kann an die Substanz gehen. Betreuungskräfte sind oft die ersten, die die Spannung aushalten müssen. Umso wichtiger: Achten Sie auf sich selbst.
- Pausen einplanen, auch wenn der Alltag voll ist.
- Eigene Gefühle ernst nehmen.
- Sich nicht scheuen, Unterstützung zu holen.
Denn nur wer selbst stabil ist, kann anderen Stabilität geben.
Fazit
Herausforderndes Verhalten gehört zum Alltag in der ambulanten Seniorenbetreuung. Entscheidend ist der Blickwinkel: Es geht nicht darum, schwierige Menschen „umzuerziehen“, sondern ihre Signale zu verstehen und professionell damit umzugehen.
Mit Empathie, Fachwissen und Gelassenheit können Betreuungskräfte aus schwierigen Momenten sogar Chancen machen: für mehr Nähe, Verständnis und Menschlichkeit.
Oder, wie eine erfahrene Kollegin einmal sagte:
„Manchmal braucht es kein Rezept, sondern einfach Geduld, ein Lächeln – und einen langen Atem.“
Unsere nächste Veranstaltung zu diesem Thema: Online – Vortrag „Bewältigung von herausforderndem Verhalten in der Betreuung“, 25.11.2025, 19.00 – 21.00. Mit anschließender Gesprächs- und Diskussionsrunde.
Sie möchten sich anmelden? Bitte schicken Sie uns eine Email unter: service@careproakademie.de!




