Tabuthema „Sexualität im Alter“ – warum?

von | Sep. 16, 2025

Betreuungskräfte sind nicht verpflichtet, das Thema Sexualität aktiv anzusprechen. Sie sollten aber offen reagieren (können), wenn es aufkommt. Soll heißen: Wenn Signale oder Fragen auftreten, gehört es zur professionellen Haltung, achtsam und respektvoll zu reagieren. Viele Seniorinnen und Senioren haben Bedürfnisse nach Nähe, Zärtlichkeit und Intimität – doch im Alltag der ambulanten Betreuung wird dieses Thema selten offen angesprochen. Scham, Unsicherheit oder die Befürchtung, Grenzen zu verletzen, führen dazu, dass dieses Feld oft mit Vermeidungsverhalten umgangen wird.

Für Betreuungskräfte eine äußerst sensible Situation: Einerseits möchten sie respektvoll und professionell begleiten, andererseits fehlt oft die sprachliche Sicherheit, das Thema überhaupt adäquat zu behandeln und angemessen zu reagieren.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Grenzen müssen gewahrt werden – Betreuungskräfte begleiten, hören zu und vermitteln – nicht mehr und nicht weniger. Dennoch gilt: Sexualität ist ein Teil des Menschseins – unabhängig vom Alter.

Warum fällt es so schwer?

In unserer Gesellschaft existieren nach wie vor viele Vorbehalte, wenn ältere Menschen ihre Sexualität leben. Bilder von „ewiger Jugend“ überlagern die Realität des Alterns. Hinzu kommt, dass viele Seniorinnen und Senioren selbst aus einer Zeit stammen, in der Sexualität kaum öffentlich thematisiert wurde. So treffen Scham, Sozialisierung und Sprachlosigkeit auf die Unsicherheit der Betreuungskräfte – ein Kreislauf, der echte Nähe im Gespräch verhindert. Aber diese wäre hier dringend notwendig…

Beispiel Niederlande

Schauen wir uns einmal unsere holländischen Nachbarn an:

  • Dort ist es gängige Praxis, Betreuungskräfte zu schulen, wie sie Sexualität im Alter behandeln können bzw. bei Gesprächsbedarf ihrer Kundinnen und Kunden angemessen reagieren sollten. Dadurch entstehen weniger Tabus, Seniorinnen und Senioren fühlen sich gesehen – und Betreuungskräfte sind sicherer in ihrer Rolle.
  • Betreuungskräfte müssen das Thema nicht aktiv ansprechen, aber sie sollten offen reagieren, wenn das Thema aufkommt.
  • Mit einer feinfühligen Sprache und klaren Grenzen können sie Seniorinnen und Senioren das Gefühl geben, auch in diesem sehr persönlichen Bereich ernst genommen zu werden.
  • Einige Pflegeeinrichtungen bieten sogar geschützte Räume an, die Seniorinnen und Senioren mehr Privatsphäre ermöglichen.

Das Resümee der bisherigen Erfahrungen mit dieser Vorgehensweise: Wenn Sexualität offen thematisiert wird, steigt das Wohlbefinden der Seniorinnen und Senioren – und die Betreuungskräfte fühlen sich weniger hilflos, weil sie Handlungsoptionen kennen und sich sicherer in ihrer Rolle fühlen.

Was könnten wir daraus lernen?

  • Sensibilisierung statt Tabuisierung: Schon kleine Einheiten in Schulungen können helfen, Hemmungen und Berührungsängste vor diesem Thema abzubauen.
  • Respektvolle Gesprächskultur: Betreuungskräfte dürfen lernen, Signale wahrzunehmen und sensibel darauf zu reagieren.
  • Rahmenbedingungen schaffen: Auch im ambulanten Kontext kann es hilfreich sein, Privatsphäre bewusst zu respektieren und eventuell Angehörige für das Thema zu sensibilisieren.

Unser Fazit

Sexualität im Alter ist kein „sonderbares“ Bedürfnis, sondern ein Grundbedürfnis, das Würde und Lebensqualität stärkt. Gerade in der professionellen ambulanten Betreuung ist es wichtig, die Tabuisierung dieses Themas zu hinterfragen und offen – aber achtsam – über Nähe und Intimität zu sprechen, wenn es kundenseitig erwünscht ist. Ein respektvoller Umgang eröffnet die Chance, dass Seniorinnen und Senioren sich in ihrer Ganzheit gesehen fühlen.

Durch Einhaltung der „natürlichen Grenzen“ wahren Betreuungskräfte ihre Rolle – können aber bei tieferem Gesprächsbedarf an entsprechende Fachstellen weitervermitteln oder Beratungsangebote aufzeigen.

Ist die Verunsicherung der Betreuungskräfte dennoch zu groß, sollten sich diese jederzeit bei Team und Vorgesetzten rückversichern dürfen und können.

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